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Gedankenverloren in den Gedanken

  • Autorenbild: Noémi Müller
    Noémi Müller
  • 12. Jan. 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Die Biene und ich

Ich liege auf dem Sofa im Garten und lasse meine Gedanken kreisen. Sie springen von Thema zu Thema. Von Sexismus über Klimawandel bis zu alltäglichen Schulsituationen. Ich nehme einen grossen Schluck meines gekühlten Eistees. Die Eiswürfel sind schon fast geschmolzen. Nur noch kleine Kugeln schwimmen auf der Oberfläche.

Meine Gedanken kreisen weiter. Ich erblicke kleine Blumen, die geblendet von der Sonne ihre ganze Schönheit ausleben. Fragen schleichen mir in den Kopf. Unnötig scheinen sie mir im ersten Moment. Ob das Gelb in einer Stunde noch gleich aussehen wird? Wer weiss. Die Biene scheint es auf jeden Fall nicht zu interessieren. Ich beobachte sie, wie sie von Blüte zu Blüte fliegt und immer mehr kleine Punkte an ihr festkleben bleiben. Sie sieht entspannt aus. Nicht so, als ob sie gerade wirre Gedanken im Kopf hätte. Ich drifte in meinen Gedanken weiter und schliesse meine Augen. Ob sich das Gelb nun verändert hat oder nicht, werde ich wahrscheinlich nicht mehr mitbekommen.


Die Zeit

Ich sitze an der Tramstation. Musik in den Ohren. Gezwitscher der Vögel im Hintergrund. Noch drei Minuten zeigt die Tafel. Drei Minuten sind nichts. Hundertachtzig Sekunden sind nichts. Sie vergehen wie im Flug. Ich sitze nur da und denke. Die Tafel zeigt mir nun die Nummer 1. Noch sechzig Sekunden. Es ging schnell vorbei. Wie vorhergesagt. Ich höre das Tram kommen. Die Schienen verraten es mir. Die Türe öffnet sich. Ich steige ein.


Eine Beobachtung

Ich stehe im Tram. Die Kamera über mir. Eine Überwachungskamera. Sieht mich gerade jemand? Kann jemand sehen, was ich schreibe? Kann jemand meinen Gedanken folgen? Ich glaube nicht. Verloren in Gedanken starre ich auf die Kamera. Peinlich, falls mich doch jemand sehen kann. Es scheint mir fast so, als ob die Kamera nur auf mich gerichtet wäre. Doch beobachtet sie auch die anderen? Ich stehe auf dem Halbkreis, der sich in jeder Kurve bewegt. Ständig werde ich abgelenkt, um meine Balance wieder zu finden. Das Tram ist gefüllt. Ich beobachte die Menschen. Sie beobachten mich. Ich spüre die Blicke auf mir. Was denken sie gerade? Haben sie ähnliche Gedanken wie ich? Die Umgebung bewegt sich an mir vorbei. Ich nehme sie nicht wahr. Schon so oft bin ich diese Strecke gefahren. Trotzdem kann ich nicht sagen, was alles erkundet werden kann. Es fliesst an mir vorbei. Die Kurve bringt mich aus der Balance. Ich verändere meine Stellung. Mein Blick wieder auf die Kamera gerichtet.


Die geräuschvolle Stille

Es ist Nacht. Ich liege auf meinem Bett, die Hand auf meinem Herzen. Dunkelheit. Meine Augen nehmen nur schwache Umrisse wahr. Kein Geräusch ist zu hören. Nur mein Herz, rhythmisch im Takt pochend. Eins, zwei, drei, vier. Ruhe. Ich nehme die Hand vom Herz und lege sie neben meinen Körper. Die Stimme in meinem Kopf spricht mit mir, doch ich höre sie nicht. Bei mir herrscht Stille. Doch auch die Stille ist nicht ruhig. Wenn ich genau hinhöre, ist sie eher ein stetiges Rauschen. Gleichmässig. Rhythmisch. Meine Lider schliessen sich und werden umhüllt von der hörbaren Stille.


Du

Die Kerzen leuchten trotz dem starken Wind. Es ist kalt draussen. Um die 0 Grad schätze ich. Ich denke an dich. Sitze am Boden und starre in die flackernden Kerzenflammen. Die Blumen rundherum werden beleuchtet. Sie werfen unruhige Schatten auf den Stein. Ich bin nicht traurig. Auch kalt ist mir nicht, obwohl ich im Schneidersitz auf den frostigen Steinplatten kauere. Die Schatten formen sich zu Gestalten. Auf den Ohren meine Kopfhörer. Die Musik, die mich innerlich wärmt. Meine Gedanken sind bei dir. Eine Träne rollt über meine Wange und tropft auf den kalten Stein. In ein paar Minuten wird sie wahrscheinlich eingefroren sein.

Blindheit

Die Bäume stehen still. Die Blätter sind ruhig. Keine Bewegung ist auszumachen. Es könnte eine Fotografie sein, die mir jemand gerade vor die Nase streckt. Ohne dass ich es weiss. Bewegung findet statt, auch wenn ich sie nicht wahrnehmen kann. Der Baum, der für mich so still erscheint, ist in Wirklichkeit doch immer in Bewegung. Ich denke an alle die Prozesse, die genau in diesem Moment in diesem Baum stattfinden. All die Tiere, die sich auf dem Baum befinden und sich bewegen. Bewegung, die unsichtbar ist für mein Auge.


Mein Apfelstrudel

Ich blicke in die Ferne. Die Tanne vor mir wiegt sich gefährlich im Wind. In der Hand halte ich meinen noch warmen Apfelstrudel. Die Autos fahren an mir vorbei. Ein blauer Truck zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich lese die weisse Aufschrift. „Fair teilen“ und ein Daumen nach oben sind zu erkennen. Mein Blick wandert auf meinen Apfelstrudel. Genüsslich beisse ich hinein und bin froh, dass ich diesen nicht teilen muss.


Die Wanduhr

«Living in my head» von Paul Wetz läuft im Hintergrund. Es ist noch dunkel. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Ich sitze im Bett unter meiner warmen Decke. Mein Blick ist fixiert auf die weisse Wand. Ich konzentriere mich auf die Musik. Meine Gedanken stehen still. Verloren in den Strophen der Musik. Mein Blick schweift weiter und bleibt an der Wanduhr hängen. Ich starre sie an. Das Geräusch des Tickens dringt langsam in meinen Kopf ein. Während der Sekundenzeiger seine Runden dreht, kommen die anderen beiden Zeiger nur langsam vom Fleck. Klack, der Minutenzeiger hat sich um ein paar Millimeter nach vorne geschoben. Das Ticken der Uhr füllt meine Gedanken. Immer lauter wird es in meinem Kopf. Tick tack. TICK TACK. Ich schliesse die Augen. Das Ticken wird leise. Meine Gedanken verstummen.

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